Also,
die No-Grokoler haben knapp die Parteitagsabstimmung verloren.
Eine
Mehrheit von 362 der 642 Delegierten stimmte für die Aufnahme von
Groko-Verhandlungen, 280 konnten sich nicht zu einem „Ja“ durchringen.
Dabei
hatte Juso-Chef Kevin Kühnert, der eigentliche Gewinner des Dramas, wieder
einmal von Martin Schulz‘ Unfähigkeit profitieren können.
Nach der
endlosen Fehlerkette im Wahlkampf, den absurden Personalien nach dem 24.09. und
der katastrophalen Parteitaktik nach der Wahl, stümperte sich Schulz auch noch
mehr schlecht als recht durch die Sondierungsverhandlungen, ließ sich mehrfach
von der Union übertölpeln und hatte nun immer noch nicht verstanden worin die
Unzufriedenheit der SPD-Mitglieder liegt.
Gabriel hatte
Merkel 2013 als Koalitionsvoraussetzung zwei SPD-Leuchtturmprojekte
abverlangt (Mindestlohn und Rente mit 63 – beides Dinge, die Merkel zuvor
kategorisch ausgeschlossen hatte) – und damit eine griffige Werbeformel für die
Sozis. Trophäen, die er als Narrativ verwenden konnte. Klar verständliche
Pro-Groko-Argumente.
Wischiwaschi-Martin
hingegen formulierte mit seiner hoffnungslos überforderten Fraktionschefin ein
Dutzend „essentielle“ SPD-Anliegen, die aber logischerweise nicht alle gegen
die Unionsmehrheit durchgesetzt werden konnten, so daß am Ende der Eindruck
blieb, Schulz wäre bereit bei allem nachzugeben.
In klassischer
Fall von Verschlimmbesserung. Im Bemühen sich bei der Parteibasis beliebt zu
machen, legte er CDU und CSU einen endlosen Forderungskatalog vor. Am Ende
bleib der Eindruck, er habe zu viel nachgegeben.
Besser
wäre es gewesen viel weniger zu verlangen, am besten auch nur zwei Punkte, zB
Familiennachzug und Millionärssteuer; dabei aber absolut kompromisslos zu sein,
so daß er klare Siege zu verkaufen gehabt hätte.
Hätte,
sollte, müßte.
Er ist
aber eben Jammer-Martin und macht das Meiste falsch. So traf er auch bei der
heutigen für ihn extrem wichtigen Rede mal wieder den falschen Ton, war nicht
in der Lage die frustrierten Genossen emotional zu packen.
Nach
einhelliger Einschätzung aller Beobachter rettete ausgerechnet die linke Andrea
Nahles dem Seeheimer Schulz mal wieder den Hintern.
[…..]
Nahles rettet Schulz
Sie ringen und sie
streiten. Sie tun sich schwer. Parteichef Schulz überzeugt kaum. […..]
Weil spricht von
Verantwortung. Die SPD müsse entscheiden, ob sie auch mit diesem wirklich
schlechten Wahlergebnis von 20,5 Prozent Verantwortung übernehmen könne. Er
sage Ja - und zwar aus "tiefer persönlicher Überzeugung". Man könne
den Menschen schließlich nicht sagen: "Sorry, wir kriegen's nicht hin, ihr
müsst nochmal wählen." Für einen Stephan Weil ist das schon Leidenschaft
pur.
[…..]
Dann kommt Andrea Nahles. Sie habe nicht
Angst vor Neuwahlen, ruft die Fraktionschefin in den Saal. Aber sie habe Angst
vor den Fragen der Menschen, wenn es zu einer Neuwahl käme. Die Wähler würden
fragen, warum die SPD erneut mit einem Programm antrete, von dem sie bei einer
Neuauflage der Großen Koalition 80 Prozent hätte umsetzen können. "Die
Wähler zeigen uns einen Vogel." Mache die SPD etwa nur noch Politik, wenn
sie die absolute Mehrheit bekomme? "Das ist doch Blödsinn, verdammt noch
mal." So viel Applaus ist selten nach einem Redebeitrag an diesem
Nachmittag. So viel Kampf auch. Und dann gibt sie noch ein Versprechen, das in
den Ohren der Union wie eine Drohung klingen muss: "Wir werden verhandeln,
bis es quietscht." [….]
Kein
einziger SPD-Delegierter ist Fan einer Groko, das dritte Mal die CDU-Chefin zur
Kanzlerin zu machen, noch dazu mit der bekannten Erfahrung anschließend gerupft
dazustehen, ist unbeliebter als Fußpilz und Mundfäule zusammen.
Es ist
daher leicht für die Kühnert-Fraktion für ein „Nein“ Stimmung zu machen.
Sie sind
mehrheitlich aber dennoch gescheitert, weil sie keine Alternative bieten.
In dem
Punkt hat Martin Schulz Recht; einfach nur „Nein“ ohne irgendeine weitergehende
Vorstellung reicht nicht.
Diejenigen,
die von einer Rückbesinnung auf „alte, linke Werte“ der SPD träumen und meinen
man müsse nur konsequent wieder Arbeitnehmerinteressen vertreten, vergessen,
daß es diese „einfachen Arbeitnehmer“ kaum noch gibt.
Ja, das
jetzige SPD-Führungspersonal ist grottig schlecht, aber in allen anderen
Europäischen Staaten haben es Sozis genauso schwer, verlieren Wahlen, lösen
sich teilweise auf, weil es ihre Klientel nicht mehr gibt.
Vom
intensiven „die Hände in den Schoss legen“, wie es die Groko-Gegner jetzt
verlangen, wird es nicht wieder zu linken Mehrheiten in den Parlamenten kommen.
[….]
Der Trend ist eindeutig. Kam das linke
Lager aus SPD, Grünen und PDS bei der Bundestagswahl 1998 gemeinsam auf
52,7 Prozent, schafften sie es im Herbst 2017 nur noch auf 38,6 Prozent, wobei
sich die Frage stellt, ob die Grünen nach erfolgreicher Özdemisierung
überhaupt noch zum linken Lager gezählt werden können. Das rechte Lager
verbesserte sich im selben Zeitraum von 41,4 Prozent (Union und FDP) auf
56,2 Prozent bei der letzten Bundestagswahl (nun inklusive AfD, aber noch
ohne die Grünen). Deutschland war nie so weit von einem Bundeskanzler mit
linker Agenda entfernt wie heute.
Der Zeitgeist
ist rechts, und der Niedergang der politischen Linken scheint sich nicht
stoppen zu lassen – weder in Deutschland noch in den anderen Staaten Europas. [….]
(DER
SPIEGEL, 20.01.20178, s.16)
Es ist
ein Elend überall in den westlichen Demokratien. Es gibt nur noch sechs
sozialdemokratische Regierungschefs unter den 28 EU-Staaten.
Trump,
Brexit, Polen, Ungarn, Tschechien und in Italien wollen sie demnächst wieder
Silvio Berlusconi als Ministerpräsident.
No-Groko-Kühnert
hat eben leider auch keinen Plan was nach einem Nein kommen soll.
[….]
Es ist eine Politik
nach dem Brexit-Prinzip: Erst mal Nein sagen – und dann schauen, wie es weitergeht.
Woher wissen die GroKo-Gegner denn, dass sich die Partei in der Opposition
besser erneuern lässt als in der Regierung? In den Oppositionsjahren
zwischen 2009 und 2013 hat das jedenfalls nicht geklappt. […..]
(DER
SPIEGEL, 20.01.20178, s.16)
Nicht
nur hat eine SPD-Erneuerung damals schon gar nicht geklappt, sondern sie hat
insbesondere mit Nahles als Generalsekretärin und damals für Programmatik
Verantwortliche nicht geklappt.
Warum
sollte eine Sozi-Erneuerung in der Opposition 2018 unter deutlich schlechteren
Rahmenbedingungen und mit einem Führungspersonal, das bereits seine Unfähigkeit
bewiesen hat, nun auf einmal funktionieren?
Es
gibt aber tatsächlich vier gewichtige Argumente, die für eine Groko sprechen,
auch wenn sie der SPD nicht zwangsläufig helfen werden.
1. Da ist die
mangelnde parteipolitische Alternative, denn anders als 2013 stehen keine
Grünen bereit, die bei einem SPD-Nein eine Regierung bilden könnten.
2. Da ist das grottige nationalkonservative Unions-Personal aus Scheuer,
Dobrindt und Spahn, welches in einer Minderheitsregierung
Deutschland in der Welt vertreten würde.
3. Da ist die extrem angespannte internationale Lage,
die eine stabile kräftige deutsche Regierung verlangt.
4. Da ist die
Möglichkeit für die Schwächsten in der Gesellschaft JETZT deutliche
Verbesserungen zu erreichen, die sie mit CDU/CSU allein nicht bekämen.
So
ungeeignet Martin Schulz als Parteichef ist; so hat er doch auch manchmal Recht:
[…..] Die letzte Große Koalition hat sich allein schon für den Mindestlohn
gelohnt. Er hat das Leben Hunderttausender Menschen verändert. Ich bin
in die Politik gegangen, um die Welt zu verbessern, nicht um mich wohlzufühlen.
Viele sagen ja jetzt: Lasst die anderen regieren, dann können wir in
vier Jahren machtvoll angreifen. Mir ist das zu taktisch. Ich will nicht,
dass die Altenpflegerin vier Jahre lang auf bessere Arbeitsbedingungen
wartet, nur damit sich die SPD wohlfühlt. [….]
(Martin Schulz im SPIEGEL Nr 4/2018,
s.21)
Ein
Argument, welches man nicht leicht vom Tisch wischen kann.
Die
SPD mag ja schlecht sondiert haben, aber sie erreicht auch nicht gar nichts.
Sie bereitet der CDU schon Bauschmerzen und kann einiges an Verbesserungen für
die sozial Schwachen rausholen, das diese Menschen bei einem Nein zur Groko
nicht bekämen.
Ob
ihres wirklich schlechten Personals und der perfiden Merkel-Methode alle
Erfolge für sich zu absorbieren, glauben viele ehemalige SPD-Wähler, es mache
gar keinen Unterschied, ob die SPD mitregiere. Sie fühlen sich verraten und verkauft.
Sie glauben, die SPD würde sich ja doch nur nach der CDU und den Interessen der
Wirtschaft richten.
Das
stimmt allerdings nicht.
[….] SPD-Erfolge, die kaum jemand kennt
Die
SPD hat die Große Koalition in vier Jahren prägend mitgestaltet. Doch die
wenigsten ihrer Erfolge werden vom Wähler mit den Sozialdemokraten verknüpft. […..] In der Tat gehen viele der sozialpolitischen
Reformen aufs Konto der SPD. Beispiel 1: der gesetzliche Mindestlohn, sicher
das sozialdemokratische Projekt par excellence. Seit 2015 gibt es mehr Geld für
einfache Arbeitnehmer, die bisher von ihrem Lohn kaum leben konnten. Zu Beginn
mindestens 8,50 Euro für fast alle – mehr Arbeiterpartei geht ja kaum. […..]
Und
mit Nahles hatte die SPD eine durchsetzungsfähige Ministerin am Kabinettstisch.
Eine, die sich nicht nur über den Mindestlohn freuen konnte, sondern auch über
die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren. Ein Lieblingsprojekt der SPD. […..]
Ein
weiteres Beispiel: die Ehe für alle. Von der SPD lange gefordert, kurz vor der
Wahl im Bundestag beschlossen.
[…..]
Mietpreisbremse,
Frauenquote und so weiter - alles ganz passable Projekte mit
sozialdemokratischer Handschrift. Es steckte viel SPD in dieser GroKo. Der
Wähler dankte es der SPD trotzdem nicht. […..][…..]
Angela Merkel hat in den Jahren ihrer
Kanzlerschaft eine Kunst zur Perfektion gebracht: Erfolge des politischen
Partners – wahlweise auch des Gegners – für sich zu vereinnahmen. Beim
Mindestlohn war Merkel anfangs eine entschiedene Gegnerin:
"Es wird diesen Mindestlohn nicht
geben."
Am
Ende hob sie im Bundestag trotzdem die Hand für das Mindestlohn-Gesetz. Auch
die Ehe für alle war ein typischer Fall. Merkel wollte sie nicht, stimmte im
Bundestag auch dagegen. Trotzdem blieb bei vielen hängen: Angela Merkel hat das
möglich gemacht. […..]
Ob die
SPD eine weitere Groko überlebt oder nicht, weiß ich nicht.
Es kann
sein, daß das gründlich schief geht und wir bei der Bundestagswahl 2021
wirklich noch hinter der AfD landen.
Es gibt
aber keine vernünftige Alternative.
Sich
komplett zu verweigern könnte erst recht in ein Desaster führen.
In einer
Groko kann die SPD aber immerhin etwas durchsetzen und die Politik in ihrem
Sinne beeinflussen.
Das
sozialdemokratische Zeitalter ist ohnehin vorbei.
[…..]
Auch
die große Gegenwartsbeschreibung des Kultursoziologen Andreas
Reckwitz, […..] gibt der Linken nur
wenig Anlass zur Hoffnung. Spätmoderne Gesellschaften feierten das
Besondere, so Reckwitz, der Durchschnittsmensch mit seinem Durchschnittsleben
zähle nicht mehr. Das gute Leben entscheide sich nicht mehr an der Waschmaschine
oder dem Auto, sondern an der besonderen Reise oder dem restaurierten
Oldtimer.
Die Bruchlinie,
die die europäischen Gesellschaften teile, verlaufe zwischen den neuen
Mittelschichten, den Gewinnermilieus des neuen, kreativen Kapitalismus,
die in der ganzen Welt zu Hause seien und ihr Leben wie ein Kunstwerk inszenierten
– und den alten Mittelschichten, den Handwerkern, Ladenbesitzern und
kleinen Angestellten, die sich davon abgeschnitten fühlten. Die auf
dem Land oder in Kleinstädten leben. […..] Für Sozialdemokraten
und viele andere linke Parteien sind das schlechte Nachrichten. Denn
sie erreichen weder die eine noch die andere Klasse. Die einen wählen
grün oder liberal, weil sie sich dort als besondere Individuen ernst
genommen fühlen. Die anderen wenden sich von der Politik ab oder gleich
den populistischen Bewegungen zu, bei denen sie ihre Abneigung gegen
die neuen Eliten gespiegelt sehen. [….]
(DER
SPIEGEL, 20.01.2018, s.18)
Wahlsiege
des linken oder linksliberalen Lagers kann es in westliche Demokratien meiner
Meinung nach im Moment nur geben, wenn es einen sehr charismatischen, jungen, frischen,
gutaussehenden Kandidaten gibt, den viele mögen. Dazu braucht es aber einen
Macron oder Trudeau.
Und so
einen haben wir in Deutschland in keiner Partei.
Das ist
die Chance der Rechten und Konservativen. Für sie tickt der Zeitgeist. Sie
werden auch ohne einen strahlenden Kandidaten
und ohne ein sinnvolles Parteiprogramm gewählt.
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